26.09.2023 00:42

Fruchtbare Koop-Aktion mit der "LernOase" bei der Lernfahrt nach Österreich

Manche effektiven Ideen entstehen spontan bei informativen Gesprächen und verlangen schnelles Handeln. So erging es auch unserer 1. Vorsitzenden, Frau Susanne Korbmacher. Zu Beginn der bayerischen Sommerferien fanden mit Frau Susanne Golla, eine der Verantwortlichen der Initiative "LernOase" im Münchner Stadtteil Milbertshofen, in den ghettokids-Räumlichkeiten zwei Arbeitstreffen statt, bei denen Lernmaterialien, die unser gemeinnütziger Verein "ghettokids – Soziale Projekte e.V." nicht mehr bei eigenen Förderprojekten einsetzen wird, unserem Kooperationspartner überlassen wurden, um vor allem sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche und oftmals Sprachanfänger durch motivierende, analoge Lernprogramme in den Schulfächern Deutsch und Mathematik zusätzlich zu fördern. Auch ansprechende kinder- und jugendgerechte Sachbücher zu Lehrplanthemen über Pflanzen, Tiere und geschichtliche Zusammenhänge landeten in den Bookboxen. Während des Aussortierens und Packens erfuhr Frau Korbmacher, dass ab dem 21. August die Initiative "LernOase" unter der Leitung von Frau Golla wieder – wie im Vorjahr – eine 10-tägige Lernfahrt für Kids ab der 1. Klasse bis hin zu Oberstufenschüler*innen aus der "LernOase", für Flüchtlings- und auch Heimkinder nach Österreich in die Wildschönau durchführen wird – immerhin für insgesamt fast 40 Kids. Frau Golla erwähnte, dass einige eingeplante Betreuungspersonen wegen Erkrankung oder aus anderen nachvollziehbaren Gründen leider doch nicht an der Lernfahrt teilnehmen können und sie nicht sicher sei, ob der Betreuungsschlüssel dem Bedarf der sehr heterogenen Gruppe entsprechend ausreiche. Und dann stand plötzlich die Frage im Raum, ob nicht unsere 1. Vorsitzende zumindest für einige Tage mit Bildungsangeboten und bei geplanten Ausflügen in der Wildschönau ehrenamtlich mithelfen könne. Frau Korbmacher hatte während der Zeit der Lernfahrt keinen Urlaub geplant und bot spontan an, zumindest für drei Tage für den Kooperationspartner "LernOase" DaZ-Förderangebote (DaZ = Deutsch als Zweitsprache) und Thealimuta-Inhalte (Theater, Lieder, Musik und Tanz) ihre Unterstützung anzubieten. Ohne Aufwand vorrätig waren von den DaZ-Materialien "Lernen aus dem Koffer" mit den Schwerpunkten "Zusammen leben" und "Sich orientieren" jeweils für die Grundschule und die Sekundarstufe I. Die sechs Lern-Koffer wurden sofort im ghettokids-Bus verstaut. Hinzu kamen zwei Ghettoblaster (coole tragbare CD-Anlagen), mehrere CD-Koffer mit motivierenden kind- und jugendgerechten Liedern, rhythmische CDs aus verschiedensten Ländern, afrikanische Trommeln, Percussion-Instrumente, eine Reisetasche mit Aufführungskleidung wie T-Shirts und Kappen und Ordner voller Kopien der Lieder – ein dickes Liedgeheft für Groß und Klein.

Einen Tag nach Ankunft der großen Kinderschar in der Wildschönau fuhr Frau Korbmacher am zweiten Tag der Lernfahrt in der Früh vor der Pension Oswald, die auch für ghettokids-Fahrten seit vielen Jahren sehr gerne gebucht wird, mit dem ghettokids-Bus vor. Sofort waren Jugendliche zur Stelle, um beim Ausladen des umfangreichen Materials, der Instrumente und Ghettoblaster behilflich zu sein. Alles wurde intensiv von allen bestaunt. Nach dem Frühstück wurde die erste Thealimuta-Lerneinheit durchgeführt. Der Speisesaal, der normalerweise zu den Essenszeiten mit Tischen, Bänken und Stühlen vollgestellt ist, wurde mit Hilfe der Jugendlichen zu einem Projektraum umgebaut. Tische und nicht notwendige Stühle landeten im Garten, um Platz für die große Gruppe von nunmehr 45 Personen zu schaffen. Bei den ersten Musiktakten verwandelte sich der Saal im Nu in einen Tanz- und Gesangsort voller kindlicher Energie. Textzeilen in Deutsch und auch auf Englisch wurden vor- und nachgesprochen, unbekannte Wörter wurden erklärt. Für die ukrainischen Sprachanfänger wurden Anweisungen und Textzeilen sofort übersetzt, die Leseanfänger konzentrierten sich beim Nachsprechen auf sprachlich einfache Aussagen. Es wurde zum Rhythmus herumgegangen, geklatscht und getrommelt. Kinder, Jugendliche und auch die Erwachsenen hatten viel Freude an dem schnell wechselnden Programm und kamen im Gruppenraum auf Grund ihres Mitmach-Engagements schnell ins Schwitzen. Sechs Grundschülerinnen mit unterschiedlichstem Herkunftshintergrund wollten in der Mittagspause unbedingt eine kleine Tanz- und Gesangsaufführung proben und diese am Nachmittag aufführen. Sie ließen sich bereits vor dem Mittagessen mit poppigen Kleidungsstücken ausstatten und zogen sie dann bis zur Schlafenszeit gar nicht mehr aus. Die Freude der Kids, deren strahlenden Augen, ihre Aufregung vor und nach dem Auftritt waren herzzerreißend. Die Aufführungsklamotten bekamen die Mädels dann auf eigenen Wunsch und als Anerkennung übereignet. Die Freude darüber war überschwänglich. Einem sehr introvertiertem 13-jährigen Jungen mit sehr guter Auffassungsgabe, der eher einem Sechzehnjährigem glich, wurde von Frau Korbmacher spontan ihre Nikon-Fotokamera in die Hand gedrückt und die Funktionsweisen wurden ihm nur kurz erklärt. Seitdem fungierte er als Haus- und Hoffotograf und machte sehr ausdrucksstarke Fotos. Ab da verflog seine Skepsis der Lernfahrt gegenüber, er wurde offener und der Aufenthalt in der Wildschönau machte ihm immer mehr Spaß. Nach der Mittagspause stand die Arbeit mit den bereits erwähnten Lernkoffern auf dem Programm. Beindruckend war, dass ältere Kids den jüngeren halfen, mit ihnen die Sprachspiele durchführten und sehr geduldig unbekannte Wörter erklärten. So hatten auch Sprachanfänger die Chance an den Lernspielen aktiv teilzunehmen. Zur großen Freude von Frau Korbmacher kümmerten sich dabei russischsprachige Kids aus Moskau sogar um jüngere ukrainische Kinder. In dieser positiven Lernwelt spielte der Krieg zwischen den beiden Ländern glücklicherweise überhaupt keine Rolle. Lernen in den Schulferien gehört bei allen Kindern wahrlich nicht zu deren Lieblingsbeschäftigung, aber alle akzeptierten mehr oder weniger, dass dies zu einer Lernfahrt dazugehört. Am späten Abend hörte man von den Kindern beim Spielen oder Schaukeln im großzügig angelegten Garten noch ständig die neu gelernten Wörter, Abzählreime und Lieder. Sogar der Nachbar drückte seine Bewunderung für das Können der Kids aus, und dies machte diese wiederum sehr stolz.

Am nächsten Tag stand eine Gondelfahrt, das Bewundern der Drachenflieger, das Herumgehen zwischen freilaufenden Kühen, das Streicheln von kleinen Ziegen, ein Imbiss in einer Berghütte mit ihren berühmten Pommes-Frites und ein Erfrischungsgetränk, das bei den sommerlich heißen Temperaturen sehr willkommen war, auf dem Programm. Nicht alle Kids waren auf Grund der teils unerträglichen Hitze mehr fähig, die geplante Wanderung zur nächsten Almhütte zu schaffen, um dort das versprochene Eis in der Waffel zu genießen. Aber immer mehr machten sich dann doch noch auf den Weg dorthin. Ständig wurden wieder die erlernten Lieder gesungen oder nachgesprochen, und die Kids begeisterten auch andere Wanderer, die sie unterwegs trafen und freundlich grüßten. So teilte sich also die Gruppe in schon sehr müde oder noch fitte Kids, aber alle Kinder und Jugendlichen bekamen schlussendlich entweder in der Berg- oder Almhütte ihr versprochenes Eis. So fuhren nach einem anstrengenden Tag alle zufrieden und glücklich mit der letztmöglichen Gondelfahrt am Spätnachmittag wieder zurück ins Tal.

Am letzten Aufenthaltstag von Frau Korbmacher hatte ein Mädchen aus dem Heim ihren 12. Geburtstag, auch wenn es viel älter aussah und reifer wirkte. Beim Frühstück erhielt es zur eigenen Überraschung einige Geschenke von Frau Korbmacher – ein kuschelweiches, riesiges Badehandtuch für den am Folgetag geplanten Freibadbesuch und eine große Packung Marker in Neonfarben für die Schule – und die ganze Gruppe sang mit Begeisterung ein Geburtstagslied nach dem anderen. Dann stand wieder ein Thealimuta-Workshop für alle auf dem Programm. Endlich kamen auch die Percussion-Instrumente und Trommeln zum Einsatz. Bereits gelernte und viele unbekannte Lieder wurden spontan und so gut jeder konnte mit Hilfe der Liedermappen gesungen und spontan instrumental begleitet. Da es weiterhin draußen sehr heiß war, konnten sich die Kinder und Jugendlichen am Schluss bei einem schnell besorgten Eis erfrischen. Die Theatereinlagen mit Sketchen und Loriot-Dialogen wurden zeitlich leider nicht mehr geschafft; dazu war die Gruppe schon von ihren deutschen Sprachkenntnissen her einfach zu heterogen. Aber vielleicht das nächste Mal im kommenden Jahr. Der Nachmittag bestand nur aus freien Beschäftigungen: Fußball, Federball, Zeichnen, Schaukeln, Verstecken spielen und Wasserspielen im Garten. Und wieder waren Lieder und Abzählreime zu hören – auch die ukrainischen und afrikanischen kleinen Mädchen beherrschen sie durch die ständigen Wiederholungen dann fast perfekt.

Bevor Frau Korbmacher am späten Abend nach München zurückfuhr, wurde sie von vielen Kindern und Jugendlichen in die Arme genommen und herzlich gedrückt – teils mit Tränen in den Augen und ihre Zuneigung beteuernd. Und immer wieder wurde die Frage gestellt: "Kannst du nicht doch länger bleiben?" Was Lieder, Reime, Instrumente, kleine Geschenke, das Spendieren von Essen und Trinken doch ausmachen … und natürlich auch ein empathisches, geduldiges Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen, denen normalerweise viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird und die so viel Nachholbedarf auf sozialer, emotionaler, kreativer und bildungsorientierter Ebene haben. Die für diese schwierige Arbeit notwendig vorhandene Kompetenz trifft selbstverständlich auch auf das gesamte professionelle Betreuerteam zu, das entweder aus ausgebildeten Lehrkräften besteht oder aus Studenten, die momentan ein Lehramtsstudium oder eine andere Studienrichtung im sozialen Bereich absolvieren. Die Initiative "LernOase" leistet mit seinem Angebot "Lernfahrt" eine gesellschaftlich dringend notwendige, lebensbejahende und zukunftsorientierte Förderung von Kindern und Jugendlichen, die es bisher in ihrem Leben nicht leicht hatten. Die "Lernfahrt" als Ferienmaßnahme ist mehr als sinnvoll und absolut effektiv.

Unsere 1. Vorsitzende dankt Frau Golla mit großem Respekt für die Gelegenheit der aktiven Kooperation, die in der Wildschönau zum Wohle der Kids umgesetzt werden konnte.

Und unser gemeinnütziger Verein dankt der Dr. Ingeborg von Tessin und Marion von Tessin-Stiftung ganz herzlich für die Finanzierung der zusätzlichen ghettokids-Kosten bei der Lernfahrt unseres Koop-Partners "LernOase" in die Wildschönau.